Die Demenzverkindlichung (5)

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Die Demenzverkindlichung (5) ist der Inhalt des 131. Blogs. Es wird die Funktion und Bedeutung von Puppen und Kuscheltieren erläutert.

Vormerkung

Bezüglich der Krankheitssymptomatik Demenzverkindlichung ist bereits eine Reihe von Verhaltensweisen Demenzkranker im fortgeschrittenen Stadium in verschiedenen Blogelementen angeführt worden. Diese Verhaltensmuster zeigen teils Parallelen zu kleinkindähnlichen Verhaltensweisen überwiegend der Altersgruppe 2 bis 4 Jahre, die hier noch einmal aufgelistet werden:

  • Nachahmungsverhalten (Blog 18)
  • Das Trotzverhalten (Blog 35)
  • Kleinkindähnliche Verhaltensmuster (Blog 60)
  • Kleinkindähnliches Sicherheitsbedürfnis und Sicherheitsverhalten (Blog 72)
  • Schreien als verdecktes kleinkindähnliches Verhaltensmuster (Blog 74)
  • Lollies lutschen (Blog 118)

Es bedarf wiederholt des Hinweises, dass Demenzkranke keine Kinder sind, es sind überwiegend hochbetagte Menschen. Doch im fortgeschrittenen Stadium, dem schweren Stadium, verhalten sie sich relativ oft wie Kinder. Diesen letztlich neurodegenerativ bedingten Wesenswandel im Wahrnehmen und Reagieren gilt es angemessen zu berücksichtigen. Im Folgenden werden die Bedeutung und auch die Funktion von Puppen und Kuscheltieren im Rahmen der Demenzverkindlichung dargestellt.

Puppen und Kuscheltiere als Beispiele für die Demenzverkindlichung

Puppen und Kuscheltiere gehören zur Lebenswelt Demenzkranker. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass nicht jede Demenzkranke sich Puppen und Kuscheltieren zuwenden wird. Doch Puppen sollten zum Leistungsangebot eines Demenzwohnbereiches gehören. Pflegende und auch Betreuende berichten, dass Demenzkranke, die oft ziellos umherwandern und auch etwas zu suchen scheinen, durch Puppen und auch Kuscheltiere eine Beschäftigung und damit auch für sie sinnvolle Aufgabe erhalten. Denn sie hegen und pflegen Puppen und Kuscheltiere, fahren sie mit dem Kinderwagen spazieren und füttern sie auch. Dieser Sachverhalt ist in mehreren Untersuchungen bestätigt worden (James 2013: 184f, siehe u. a. auch Gibson 2005, Mackenzie et al. 2006). Im Folgenden werden die verschiedenen Verwendungsformen von Puppen und Kuscheltieren in der Pflege und Betreuung Demenzkranker im fortgeschrittenen Stadium dargestellt.

Puppen als Hilfsinstrumente in der Pflege

In Blog 51 wird gezeigt, dass Puppen zur Erleichterung der Pflege verwendet werden. So fällt es Demenzkranken bei der Pflege oft nicht leicht, den Aufforderungen und Hinweisen der Pflegenden angemessen folgen zu können. Worte bleiben nicht mehr haften und werden oft auch nicht mehr recht verstanden. Unsicherheit und Unschlüssigkeit sind dann die konkreten Folgen. Pflegende setzen dann in diesen Fällen vertraute Puppen oder Kuscheltiere der Bewohner ein, die meist von den Demenzkranken mit Namen versehen sind. Wenn z. B. die Bewohnerin sich nicht schlüssig ist, ob sie nun schon ins Bett gehen solle, dann wird ihre Puppe Christian ins Bett gelegt. Anschließend wird dann die Demenzkranke aufgefordert, sich zu „Christian“ zu legen, denn der soll ja nicht allein schlafen (Lind 2011: 203, Stuhlmann 2004: 98). Anbei weitere Beispiele hinsichtlich des Einsatzes von Puppen in der Pflege.

Vormachen

Wenn Unwille bezüglich einer bestimmten Pflegehandlung wie z. B. dem Kämmen besteht, wird diese vorab bei der vertrauten Puppe praktiziert. Anschließend lassen die Betroffenen in der Regel diese Prozedur auch über sich ergehen (Lind 2011: 144, Stuhlmann 2004: 96f). Bei diesem Beispiel führen zwei Faktoren zur erfolgreichen Pflegehandlung: die Puppe als wahrnehmbares Vorbild und ergänzend das Nachahmungsverhalten, das im fortgeschrittenen Stadium ähnlich wie bei Kleinkindern noch recht gut ausgebildet ist (siehe Blog 18).

Puppen als Verstärkungselement in der Pflege

Demenzkranke, die oft recht zögerlich und leicht verunsichert im Umgang wirken, entspannen sich leichter, wenn Pflegende bei der Kontaktaufnahme vor der Pflege ihre Puppen oder Kuscheltiere ebenfalls mit Namen begrüßen und sie in den weiteren Handlungsverlauf mit einbeziehen. Hierbei handelt es sich dann um Verstärkungselemente im Wahrnehmen und Erkennen des situativen Zusammenhanges. Die Puppen fungieren in diesen Fällen als eine emotionale Stabilisierung, sie geben den Demenzkranken ein Stück Sicherheit und damit auch das Gefühl, bei der Pflege nicht allein und ungeschützt zu sein (siehe Blog 17).

Puppen als Konditionierungsinstrument

In Blog 13 wurde gezeigt, wie einer Demenzkranken mit einer Puppe im Arm, die sich vehement mit Gewalt dem Toilettengang widersetzte, stets eine zweite Puppe in die Hand gedrückt wurde, damit sie nicht mehr die Pflegenden schlagen konnte. Mit der Zeit verinnerlichte die Betroffene diesen Zusammenhang und wusste, dass mit der zweiten Puppe der bevorstehende Toilettengang anstand (Camp 2015: 87). In diesem Fall wurde eher zufällig ein einfacher Lernvorgang in der Form einer Konditionierung initiiert. Dieses Beispiel zeigt, dass Konditionierungen im Rahmen des Umgangs mit Demenzkranken wirksam mit konkreten Gegenständen praktiziert werden können.

Puppen als Personenersatz

In Blog 54 wird gezeigt, dass Puppen im Rahmen der Ersatz- oder Surrogatstrategien vermisste Angehörige ersetzen können. So sorgte sich in einem Fall eine Demenzkranke ständig voller Angst um ihren Sohn „Hans Holm“, den jedoch keiner in dem Heim bisher gesehen hatte. Da beruhigende Worte hier nichts nutzten und die Pflegenden selbst das Leiden kaum noch ertragen konnten, entschloss man sich, ihr eine Puppe mit den Worten „das ist dein Hans“ in die Hand zu drücken. Die Betroffene akzeptierte diese Lösung und hegte und pflegte von da an den ganzen Tag ihren „Hans“ (Lind 2011: 205).

Plüschtier als Haustierersatz

Eine Bewohnerin war ständig auf der Suche nach ihrem vermissten Hund „Lulu“. Sie machte sich regelrecht Sorgen um ihn. Daraufhin wurde gemeinsam mit einer Pflegenden „Lulu“ (ein Stoffhund) unter dem Bett gefunden. Das Stofftier wurde als das vermisste Haustier akzeptiert und damit angenommen (persönliche Mitteilung).

Puppen als „Löschungselemente“

In Blog 8 wird gezeigt, dass bei beeinflussbaren spontanen Desorientierungsphänomenen, die bei den Betroffenen Unruhe und Furcht hervorrufen, es darum geht, diesen Realitätsverlust möglichst umgehend wieder aufzulösen. Das heißt konkret, den Betroffenen aus dieser belastenden Realitätsverzerrung wieder heraus zu geleiten. Der Wirkmechanismus hierbei ist die „Löschung“ (Begrifflichkeit aus der Verhaltenstherapie bzw. Lernpsychologie). Löschung bedeutet hier konkret, einen negativen Impuls wie das Verlangen, Hühner füttern zu müssen, andernfalls drohe Strafe, durch einen positiven Impuls zu ersetzen und somit zugleich zu löschen. In diesen Fällen verwenden Pflegende oft auch Puppen, die sie im Stile eines Bauchredners sprechen lassen. Dieses Reizgefüge „sprechende Puppe“ ist meist ausreichend, um den belastenden Realitätsverlust zu löschen.

Literatur

  • Camp, C. J. (2015) Tatort Demenz – Menschen mit Demenz verstehen. Bern: Hogrefe Verlag
  • Ellingford, J.et al. (2007) Using dolls to alter behaviour in patients with dementia, Nursing Times, 103, (5): 36-37
  • Gibson, S. (2005) A personal experience of successful doll therapy, Journal of Dementia Care, 13 (3): 22-23
  • James, I. A. et al. (2006) ‘Doll use in care homes for people with dementia’, International Journal of Geriatric Psychiatry, (21): 1093-1098
  • James, I. A. (2013) Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz, Bern: Verlag Hans Huber
  • Lind, S. (2011) Fortbildungsprogramm Demenzpflege, Bern: Verlag Hans Huber
  • Mackenzie, L. et al. (2006) A pilot study on the use of dolls for people with dementia, Age and Aging, 441-443
  • Mitchell, G. et al. (2013) The therapeutic use of doll therapy in dementia, British Journal of Nursing, 22,(6): 329-334
  • Stuhlmann, W. (2004): Demenz – wie man Bindung und Biografie einsetzt. München: Reinhardt

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