Stress in der Demenzpflege

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Arbeitsbelastungen in der Pflege Demenzkranker sind die Inhalte des 21. Blogs. Es werden verschiedene Facetten dieser Belastungen angeführt.

Hoher Zeitdruck ist ein Strukturelement der stationären Altenpflege, wie Untersuchungen aus dem In- und Ausland immer wieder zeigen (Zimber et al. 1999: 176, Coburger 2009: 149). Dieser Zeitdruck und damit zugleich auch Hektik lassen sich jedoch kaum mit den Anforderungen an eine angemessene Demenzpflege vereinbaren.

Gemäß dem wechselhaften, vom Bewohnerverhalten herrührenden Arbeitsaufkommen kann allgemein die Demenzpflege als eine typische „Abenteuer- und zugleich Überraschungspflege“ bezeichnet werden. Hier gilt die Parole „Jeder Tag ist anders“ (Lind 2011: 45).

Stresselemente in der Demenzpflege

Für die Pflegenden bedeutet dies konkret in ihrem tagtäglichen Handeln, dass zur Durchschnittsbelastung immer noch weitere zusätzliche Belastungen durch das unvorhersehbare Verhalten der Demenzkranken hinzukommen können. Besonders gravierend sind hierbei für den täglichen Pflege- und Betreuungsprozess:

  • Verlaufen und Verirren der Bewohner („Weglauf- oder Hinlauftendenz“ u. a.)
  • Stürze
  • Urin- und Stuhlinkontinenz (Kotschmierereien u. a.)
  • starke Unruhe (u. a. ständiger Bewegungsdrang)
  • tätlich aggressives Verhalten
  • störende Lautäußerungen (Schreien, Jammern, Schimpfen u .a.)
  • Realitätsverluste (u. a. wahnhafte Halluzinationen) (Lind 2011: 45).

Diese demenztypischen Verhaltensweisen oder auch Verhaltensauffälligkeiten treten häufig auf, wie Untersuchungen u. a. in Pflegeheimen gezeigt haben (Lind 2000, Weyerer et al. 2006). So ist z. B. das Kotschmieren bei Demenzkranken im fortgeschrittenen Stadium der Alzheimer-Demenz mit Verhaltensauffälligkeiten bei jedem 5. Bewohner innerhalb von 14 Tagen beobachtet worden (Schäufele et al. 2008). Auch tätliche Aggression seitens der Bewohner ist ein äußerst belastender Sachverhalt: So berichteten bei einer Befragung von 261 Pflegenden 71 Prozent, in den letzten 12 Monaten Ziel eines tätlichen Angriffes gewesen zu sein (Berger et al. 2006 Band II: 91, siehe auch Zeller et al. 2013).

Zusätzliche Arbeitsbelastungen

Die zusätzlichen Belastungen durch die Pflege Demenzkranker sind vielfacher Art und lassen sich grob in die folgenden Gruppen unterscheiden (Lind 2011: 45f):

Unvorhergesehene Mehrarbeit

Hier können z. B. die Säuberungstätigkeiten bei nächtlichen Kotschmierereien angeführt werden. Auch der häufige Kleiderwechsel bei Urininkontinenz untertags bedeutet Mehrarbeit. Die körperliche Belastung hierbei ist ein zusätzlicher Stressor u. a. auch aufgrund des damit verbundenen Zeitverzuges bei den alltäglichen Verrichtungen.

Zusätzlicher psychischer Stress

Hierbei handelt es sich überwiegend um die Sorge über den Zustand der demenzkranken Bewohner. Eine Pflegende muss nur eine halbe Stunde eine bestimmte Bewohnerin nicht gesehen haben und schon macht sie sich automatisch Gedanken über ihr Befinden. Sie könnte sich z. B. in der Einrichtung verlaufen haben, oder sie hat das Heim verlassen und ist nun den Gefahren des Straßenverkehrs ausgesetzt. Vielleicht ist sie auch in der Einrichtung irgendwo gestürzt und kann sich nicht melden. Dieses Sorgen um die extrem hilfebedürftigen Bewohner führt zu Anspannung, Unsicherheit und Überlegungen, was diesbezüglich umgehend unternommen werden sollte.

Furcht vor tätlichen Angriffen und sexuellen Übergriffen

Demenzkranke geraten bei Kontakten im Nahbereich, die sie überfordern, schnell in ein verbales und auch tätliches Abwehrverhalten. So können spontane und schnell durchgeführte Hilfeleistungen (primäre Empathie) leicht mit Schlägen und Tritten aufgrund einer wahnhaften Verkennung honoriert werden (siehe Blog 19). Des Weiteren wird von pflegenden Frauen wiederholt berichtet, dass es bei der Körperpflege demenzkranker Männer zu unsittlichen Berührungen kommt, die für die Betroffenen sehr belastend sind.

Konsequenzen für die Praxis

Die Pflege und Betreuung Demenzkranker wird stark von Stressfaktoren wie z. B. Hektik und Zeitdruck beeinflusst, denn ein erhöhtes Stressniveau bei den Pflegenden als auch bei den Demenzkranken führt unmittelbar zu Beeinträchtigungen des Miteinanders und der Zusammenarbeit. Stress bei den Pflegenden überträgt sich fast automatisch auf die Bewohner, die durch diese Empfindungen verunsichert und überfordert sind.

Damit eine angemessene Demenzpflege durchgeführt werden kann, sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die konsequent eine Stressminderung bei der Pflege beinhalten. Konkret heißt dies u. a., Überstress und Überforderungsempfindungen möglichst nicht aufkommen zu lassen bzw. deutlich zu vermindern. Dabei gilt es nicht nur, die subjektiven Empfindungen der Pflegenden bei der Einschätzung der Pflegesituation zu beachten. Genauso wichtig sind die Rahmenbedingungen in Gestalt der Personalbesetzung, der Arbeitsorganisation und der Selbstbestimmung in der Entscheidung über die Pflege- und Betreuungshandlungen seitens der Pflegenden.

Literatur

  • Berger,G. et al. (Hrsg.) (2006) Erfolgsfaktor Gesundheit. Handbuch zum betrieblichen Gesundheitsmanagement. Teil 2: Pflegemanagement und Selbstpflege. Hannover: Vincentz Network.
  • Coburger, S. (2009) Arbeitsbedingungen, Erfolgserfahrungen und Arbeitszufriedenheit bei Pflegekräften der stationären Altenhilfe. Untersucht in einem bayrischen Sozialzentrum. Frankfurt am Main: Peter Lang. Siehe Rezension
  • Lind, S. (2000) Umgang mit Demenz. Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Methoden. Stuttgart: Paul-Lempp-Stiftung.
  • Lind, S. (2011) Fortbildungsprogramm Demenzpflege, Bern: Verlag Hans Huber
  • Schäufele, M et al. (2008) Demenzkranke in der stationären Altenhilfe. Aktuelle Inanspruchnahme, Versorgungskonzepte und Trends am Beispiel Baden-Württembergs. Stuttgart: Kohlhammer Verlag
  • Weyerer, S. et al. (2006) Demenzkranke Menschen in Pflegeeinrichtungen. Besondere und traditionelle Versorgung im Vergleich. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
  • Zeller, A. et al. (2013) Erfahrungen und Umgang der Pflegenden mit aggressivem Verhalten von Bewohner(inne)n: eine deskriptive Querschnittstudie in Schweizer Pflegeheimen. Pflege: 26 (5): 321 – 335
  • Zimber, A. et al. (Hrsg.) (1999) Arbeitsbelastung in der Altenpflege. Göttingen: Hogrefe.

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