Skalierungsfehler u. a.

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Die Wahrnehmungsstörung Skalierungsfehler einschließlich der milieutherapeutischen Interventionsform Verkleinerungsstrategie bildet den Inhalt des fünften Blogs. Des Weiteren werden kurz „Stabilisierungshalluzinationen“ (Arbeitsbegriff) und biografisch bedingte Zwangshandlungen beschrieben.

Wahrnehmungsstörung Skalierungsfehler

Die Wahrnehmungsstörung Skalierungsfehler wurde bisher in der Demenzpflege aus der Sicht des Autors dieses Blogs weder als ein Krankheitssymptom noch als eine Problemlage für die Betroffenen thematisiert. Nur in der Entwicklungspsychologie für Kinder wird diese Wahrnehmungsstörung beschrieben. Es handelt sich bei dem Skalierungsfehler um die Fehleinschätzung der Größenverhältnisse in der Wahrnehmung und dem folgenden Verhalten. Wenn z. B. ein Kleinkind versucht, in ein Spielzeugauto einzusteigen oder sich auf einen Puppenstuhl zu setzen, dann sind vermutlich physiologisch die Hirnareale für die Objektwahrnehmung und die Selbstwahrnehmung bezogen auf das Größenverhältnis im Handlungsprozess noch nicht ausreichend verschaltet. Dieses Reifungsdefizit wird bei Kleinkindern im Alter von 18 bis 30 Monaten beobachtet (Siegler et al. 2016: 177).

Verkleinerungsstrategie

Es liegen Erfahrungen aus der Demenzpflege vor, die den Sachverhalt belegen, dass Pflegende gezielt die Wahrnehmungsstörung Skalierungsfehler bei der Milieugestaltung Demenzkranker handhaben. Mittels Spielzeug wird milieubezogen eine Verkleinerung einer bestimmten Situation hergestellt, um Demenzkranken in konkreten Belastungssituationen Hilfestellung und Unterstützung zu geben. Folgende Beispiele verdeutlichen diese Vorgehensweise:

Beispiel 1: Eine Demenzkranke wagte nicht, aus ihrem Zimmer zu gehen, um an Gemeinschaftsaktivitäten teilzunehmen, die ihr in der Regel wegen der Geselligkeit eigentlich gut taten. Als Grund hierfür gab sie an, dass sie ihre „Hühner“ nicht unbeaufsichtigt allein im Zimmer zurücklassen könne (optische Halluzination). Die Pflegenden stellten daraufhin Spielzeughühner mit einem Gatter versehen in ihrem Zimmer auf. Als die Betroffene nun ihre Hühner geschützt im Gatter sah, war sie erleichtert und konnte ihr Zimmer verlassen.

Beispiel 2: Ein ehemaliger Bauer warf immer um 16:00 Uhr sein Kopfkissen auf den Flurboden. Die Pflegenden wussten, dass der Demenzkranke früher auf seinem Bauernhof zu dieser Zeit seinem Vieh im Stall das Heu zuwarf. Wohl aus Kostengründen (Reinigung) stellten diesbezüglich die Pflegenden nun Spielzeugrinder auf den Tisch und reichten dem Bewohner um 16:00 Uhr kleine selbstgebastelte Strohballen, die er dann seinem „Vieh“ zuwarf.

Es überrascht, mit welcher Erfindungsgabe und Kreativität Pflegende gravierende Problemlagen und zugleich auch Krankheitssymptome wie Halluzinationen und das Zwangsverhalten lösungsorientiert und äußerst wirksam zu behandeln verstehen.

Neben der Anwendung der Verkleinerungsstrategie bei der Milieugestaltung zum Zwecke des Wohlbefindens der Betroffenen sind in diesen Beispielen noch weitere für die Pflege und Betreuung äußerst wichtige Erkenntnisse enthalten, das Wissen um „positive“ Halluzinationen und das Wissen um das Zwanghafte bestimmter Handlungsweisen bei Demenzkranken.

Stabilisierungshalluzinationen“

Halluzinationen sind Wahrnehmungsstörungen und zugleich auch Realitätsverzerrungen bzw. Realitätsverluste, die bei Demenzkranken relativ häufig auftreten (Lind 2007: 51). Unterschieden werden können Halluzinationen dabei auch hinsichtlich ihres jeweiligen Belastungsgrades auf die Betroffenen. Das Spektrum reicht hier von nicht störend bis hin zu einem starken Belastungsempfinden (Lind 2011: 208 ff). Nicht thematisiert hingegen wurde bisher in der Demenzpflege die Gegebenheit „positiver“ Halluzinationen („Stabilisierungshalluzinationen“, Arbeitsbegriffe des Autors). Hierbei halluzinieren Demenzkranke meist Haustiere angesichts der sie überfordernden Gegebenheiten der Umwelt (Lind 2011: 208). Auch hier besteht wieder die Parallele zum Verhalten der Kinder. Bei schätzungsweise ungefähr 10 Prozent der allein ohne Geschwister oder Freunde aufwachsenden Kindern in meist zusätzlich belastenden Familienkonstellationen wird beobachtet, dass sie unbewusst ohne ihr Zutun „imaginäre Spielkameraden“, also Halluzinationen, erfinden oder entwickeln, ohne dabei jedoch Anzeichen einer psychotischen Störung im Sinne einer Erkrankung zu zeigen (Kasten 2008: 54).

Zwangsverhalten

Auf Realitätsverluste beruhende Verhaltensweisen Demenzkranker lassen sich u. a. dahingehend unterscheiden, ob sie bezogen auf therapeutische Interventionsmöglichkeit beeinflussbar bzw. nicht beeinflussbar sind. Bei einem beeinflussbaren Krankheitssymptom wie einem raumzeitlichen Desorientierungsphänomen kann mittels verschiedener Interventionen eine Lösung herbeigeführt werden. Bei einem nicht beeinflussbaren Verhalten wie in dem obigen Beispiel („der Bauer“) hingegen muss aufgrund der Zwanghaftigkeit eines bestimmten Handlungssegments Hilfestellung bei der Ausführung der Handlung gegeben werden, denn andernfalls droht wachsende Unruhe und Furcht. Das Können der Pflegenden und Betreuenden besteht vor allem darin, die richtige pflegerische Diagnose mitsamt der erforderlichen Interventionsform zu ermitteln. Bei dem Zwangsverhalten handelt es sich um unkontrollierbare Handlungsmuster auf der Grundlage episodisch-prozeduraler Langzeitgedächtnisinhalte ähnlich einem stereotypen Verhalten. Diese Symptomatik wird in weiteren Blogelementen vertieft dargestellt werden.

Literatur

  • Kasten, E. (2008) Die irreale Welt in unserem Kopf, München: Ernst Reinhardt Verlag
  • Lind, S. (2007) Demenzkranke Menschen pflegen, Bern: Verlag Hans Huber.
  • Lind, S. (2011) Fortbildungsprogramm Demenzpflege, Bern: Verlag Hans Huber
  • Siegler, R. et al. (2016) Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Berlin: Springer.

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